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Ibn Taymiyya: Gerechtigkeit (Adalat) und Ungerechtigkeit (Dhulm)

Als erstes möchte ich euch ein Kapitel aus dem Buch Al-amr bi’l ma’ruf wa n-nahy ‚an al-munkar von Imam ibn Taymiyya -rahimahullah- bereitstellen.
Es lautet:


Gerechtigkeit (Adalat) und Ungerechtigkeit (Dhulm)

Die Tätigkeiten der Menschen auf der Erde bleiben mit Gerechtigkeit, auch wenn diese mit Sünden einhergehen, eher korrekt, als mit Ungerechtigkeit, auch wenn diese von Sünden frei sind. Aus diesem Grund sagt man:
„Allah lässt den gerechten Staat, auch wenn er ungläubig ist, überleben, aber den ungerechten Staat, auch wenn er gläubig ist, nicht überleben.“
Und genauso sagt man:
„Die Erde bleibt mit Gerechtigkeit und Kufr (Unglaube) bestehen, aber bleibt nicht bestehen mit Ungerechtigkeit und Islam.“

Rasulullah, Allahs Segen und Frieden auf ihm,  hat gesagt:
„Es gibt keine Sünde, die noch schneller bestraft wird als Auflehnung (Rebellion, Ungerechtigkeit) und den Kontakt zu den Verwandten abzubrechen.“
(Ibn Maja, Zuhd 23; Abu Dawud, Adab 43)

Der Ungerechte wird, auch wenn ihm im Jenseits vergeben wird, auf der Erde bestraft. Denn die Gerechtigkeit ist die Grundlage von allem. Irdische Taten, die mit Gerechtigkeit ausgeführt werden, sind beständig, auch wenn denjenigen, der sie tut, im Jenseits kein Gewinn erwartet, wenn sie aber ohne Gerechtigkeit ausgeführt werden, sind sie unbeständig, auch wenn derjenige, der sie tut soviel Iman besitzt, dass er für ihn im Jenseits ausreichend sein wird. Der Trieb gegen andere Menschen ungerecht zu sein, indem nach Überlegenheit gestrebt wird, missgönnt und Rechte anderer missbraucht werden, ist in der Natur des Menschen gegeben. Außerdem besitzt er den Trieb, niedere Neigungen, wie Zina oder das Essen von religiös abscheulich gesehenen Sachen, auszuführen und somit ungerecht zu sich selber zu sein. Somit kann er zu einem, der zu sich selber nicht ungerecht ist, zum machen, und kann einen anderen, der selber nicht seinen niederen Neigungen nachgibt, zu diesen verführen. Denn wenn er sieht, dass die anderen ungerecht sind und ihre Gelüste in die Tat umsetzen, wird bei ihm die Lust, und mit dieser der Drang zur Ungerechtigkeit (Dhulm), in gewaltiger Weisezunehmen.

Manchmal bleibt er auch geduldig, dann aber kann dieser Zustand seinen Hass und seinen Neid gegen die anderen an peitschen, und er verlangt, obwohl er zuvor nie solche Gedanken hatte, nach deren Bestrafung und verlangt danach, dass sie alle ihre Wohltaten verlieren. In diesem letzten Zustand behauptet er, indem er gedankliche und religiöse Beweise zu der betreffenden Sache vorlegt, dass es Wajib ist gegen denjenigen, der ungerecht gegen ihn und die Muslime ist, das Gute zu gebieten und das Schlechte zu verbieten und in dieser Sache Jihad zu machen.
Hieraus lassen sich die Menschen, die das Gute gebieten und das Schlechte verbieten in drei Gruppen einteilen:

 

1. Die Ersten, denken nur an ihre eigenen Wünsche, sind nur dann zufrieden, wenn sie bekommen was sie begehren, und erzürnen nur dann, wenn sie nicht erhalten was sie begehren. Wird einem von diesen das gegeben was er begehrt, gleich ob es haram oder Halal ist, verfliegt sein Zorn und er wird zufrieden. Ein Zustand, den er noch zuvor verboten hat, deswegen er zuvor noch bestraft hat, seinen Täter geachtet hat und erzürnt ist, wird so zu einem Zustand, von dem er zufrieden ist. Nun tut er diese Tat selber, wird in dieser Sache Mittäter und Unterstützer, und wird Feind derer, die ihn an der besagten Tat hindern und von dieser Tat abbringen wollen. So sind die meisten der Menschen. Hierfür
sieht und hört man unzählige Beispiele. Der Grund für dieses Verhalten des Menschen ist, dass der Mensch ungerecht und unwissend ist. Deswegen verhält er sich nicht gerecht; manchmal kann er auch in beiden Fällen ungerecht sein. Du wirst sehen, dass einige, die dieser Gruppe der Menschen angehören, einen Regierenden, der sie unterdrückt und ihre Rechte missachtet, obwohl sie ihn nicht mögen, unterstützen und ihm helfen, nur weil dieser ihnen Machtpositionen, Besitztümer oder andere vergleichbare Sachen schmecken lässt. Der beste Zustand dieser Leute ist, dass sie ihre Unzufriedenheit mit dem Regierenden nicht zeigen. Genauso wirst du sehen, dass diese Menschen diejenigen, die Ehebruch begehen und dem Vergnügen verfallen sind nicht mögen, aber wenn sie sich selber in diese Sachen begeben oder man sie von diesen Sachen schmecken lässt, fangen sie an, sich im Namen derjenigen, die diese Sachen tun, mit uns zu streiten. Folglich werden einige von diesen Menschen noch schlimmer als sie es vorher waren, oder etwas besser oder bleiben wie sie waren.

 

2. Die Zweiten sind diejenigen, die einen gesunden Glauben haben. Sie sind in dieser Sache aufrecht und konstruktiv (muslih). Sie bleiben auf dem rechten Weg und begegnen der Pein, die ihnen zugeführt wird, mit Geduld. Diese Gruppe ist diejenige Gruppe, die glaubt und gute Taten verrichtet, und zu der Ummah gehört, die, die beste Ummah ist, die für das Wohl der Menschen hervorgebracht wurde, das Gute gebietet und das Schlechte verbietet und an Allah (t) Iman macht.

 

3. Die Dritten sind diejenigen, die beide Eigenschaften besitzen. Die meisten der Gläubigen gehören dieser Gruppe an. Sie sind religiös, folgen aber auch ihren persönlichen Neigungen. In ihren Herzen ist sowohl die Empfindung zum Gehorsam, als auch zur Auflehnung; manchmal beherrscht ihn die erste und manchmal die zweite Empfindung. Diese Dreiteilung gleicht der Aufteilung des Egos (Nafs) in Nafsi Ammara, Mutmainna und Lauwama. Die Menschen in der ersten Gruppe sind diejenigen, die ein Ego besitzen, das ihnen ständig das Schlechte befiehlt. (Nafsi Ammara). Drei Menschen in der zweiten Gruppe sind die Besitzer der Nafsi Mutmainna, wie sie Allah (t) erzählt:

 

„O du ruhige Seele (Nafs)! Kehre zurück zu deinem Herrn wohl zufrieden und mit Allahs Wohlwollen. So schließ dich dem Kreis Meiner Diener an. Und tritt ein in Mein Paradies.“
(Sure AI-Fajr, Aya 27-30 )

 

Die Menschen in der dritten Gruppe sind diejenigen, die sündigen und sich dann wegen dieser Sünden tadeln, beide Eigenschaften besitzen, die guten und schlechten Taten miteinander vermischen. Sie sind Besitzer der Nafs-i Lauwama. In einem Hadith befiehlt Rasulullah (s) Abu Bakr (ra) und Umar (ra) zu folgen:

„Folgt nach mir diesen beiden, Abu Bakr und Umar.“
(Tirmidhi, Manakib 16; Ibn Maja, Muqaddima 11; Ahmad 5/382)

 

Diese Menschen, die mit diesem Befehl befohlen waren, lagen der Zeit des Propheten (s) am nächsten und waren in Bezug auf Iman und Sulh die besten. Und ihre Führer erfüllten ihre Pflichten (Wujubat) in bester Weise und sättigten das Volk. Weil sie (sowohl die Führer als auch das Volk) Angehörige der zweiten Gruppe waren, entstand zu deren Zeit keine Fitna (Unruhe). Zum Ende der Zeit Uthmans (ra) und in der Zeit Alis (ra) mehrte sich die Zahl derjenigen, die der dritten Gruppe angehörten.
Neben ihrem Glauben und ihrer Religiosität, fingen sie an, sich ihren persönlichen Neigungen und Zweifeln zu unterwerfen. Dies zeigte sich sowohl bei einigen Verwaltern, als auch im Volk. Später, mehrte sich die Zahl solcher und weil Gottesfurcht und Gehorsam von diesen nicht mehr verinnerlicht werden konnte, entstand in Folge ihrer Hawa und der Gründe, die ich vorhin genannt habe, Fitna.
Beide Gruppen haben das Gute geboten und das Schlechte verboten, beide versuchten jeweils ihre Gruppe als die wahre und gerechte darzustellen (Tawil). Nun, allein das Benutzen der Tawil (etwas in einem anderen Sinn darstellen, als er offenkundig zu ersehen ist) ist eine Form der persönlichen Neigung zu folgen. So sehr auch eine der beiden Gruppen der Wahrheit näher stand, ist hier das, was betrachtet werden soll, dass in dieser Ta’wil Vermutung (Dhann) und ein Zustand, den das Ego begehrte, eine Rolle spielte. Deswegen ist es die Aufgabe des Gläubigen, sein Herz auf dem Rechten Weg zu halten, es nicht zweifeln zu lassen, beständig in der Rechtleitung zu sein und gottesfürchtig zu sein, von Allah (t) Hilfe zu verlangen, dass man nicht den Gelüsten seines Egos verfällt und auf Allah (t) zu vertrauen. So sagt Allah (t):

 

„Zu diesem also rufe sie auf. Und bleibe aufrichtig, wie dir befohlen wurde, und folge ihren persönlichen Neigungen nicht, sondern sprich: ‚Ich glaube an das, was Allah als Buch herabgesandt hat, und mir ist befohlen worden, gerecht zwischen euch zu richten. Allah ist unser Herr und euer Herr. Für uns unsere Werke und für euch eure Werke! Kein Beweisgrund ist zwischen uns und euch. Allah wird uns zusammen bringen, und zu Ihm ist die Heimkehr.'“
(Sure Asch-Schura, Aya 15)

 

Quelle: al-Adala; Yahya Jens Ranft

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